Karl im Brahm, CEO bei Objectway, er beschreibt die Auswirkungen der regulatorischen Anforderungen und der Rolle von Partnerschaften zwischen etablierten Banken und Fintech-Unternehmen als Innovationstreiber der Branche. Insgesamt wirft das Interview einen ganzheitlichen Blick auf die Transformation der Bankenbranche durch die Digitalisierung.
Manage it: Welche zentralen Chancen bietet die Digitalisierung für Banken, um ihr Geschäft zu erweitern und ihre Dienstleistungen zu verbessern?
Karl im Brahm: Sowohl Finanzinstitute als auch Technologieunternehmen übernehmen digitales Banking souverän als »Business as Usual« und machen unaufhaltsame Fortschritte. Nach der Finanzkrise lag der Schwerpunkt zu Recht auf der Regulierung, und die IT-Budgets der Banken wurden jahrelang ausschließlich für behördliche Projekte verwendet. Inzwischen verlagert sich der Fokus von Finanzinstituten jedoch zunehmend auf Investitionen in Marktlösungen. Wir sehen auch Chancen in den vielen Herausforderungen, mit denen die Bankenbranche konfrontiert ist. Zusätzlich zu den fortlaufenden regulatorischen Belastungen kommt das Problem der Zinspolitik, das heißt der Rückgang der traditionellen Margen.
Banken müssen mehr in Zukunftstechnologien investieren, um nicht von der Konkurrenz verdrängt zu werden. Und schließlich besteht die Gefahr, dass weiterhin neue Mitbewerber mit disruptiven Geschäftsmodellen in den Markt eintreten und einen Teil des Kuchens abhaben wollen. Die einzige Möglichkeit für Banken, ihren Marktanteil zu verteidigen, sind Investitionen in Technologien. Im Vermögensverwaltungsgeschäft sind rund 30 Prozent der Privatkunden bereit, die Bank zu wechseln. Sie werden voraussichtlich in den nächsten zwei bis drei Jahren ihren Vermögensverwalter wechseln.
Banken tüfteln schon seit Jahrzehnten an der Kundenerfahrung im Finanzsektor: Um die Jahrhundertwende führten sie das Customer Relationship Management (CRM) ein, vergaßen dann aber, wofür der Buchstabe »R« steht. In jüngerer Zeit wurde CX (Customer Experience) zum Mantra, aber in den letzten 10 Jahren haben wir mehr schlechte als gute Berichte von Kunden gehört. Und dann kamen die digitalen Neo-Banken und mischten die Branche auf, nicht zuletzt, weil sie ein deutlich besseres Kundenerlebnis boten. Wir glauben, dass CX für standardisierte Dienstleistungen und Finanzprodukte zum nächsten Maßstab für Wettbewerbsvorteile wird, und wir erwarten aufregende Entwicklungen in diesem Bereich.
Die rasante Entwicklung künstlicher Intelligenz ist ebenfalls ein entscheidender Einflussfaktor für die Branche. Künstliche Intelligenz (KI) ist keine aufstrebende Technologie mehr, sondern hat sich fest im Mainstream etabliert. Die Vorteile sind offensichtlich. Aber es gibt auch Risiken, zum Beispiel bei ChatGPT. Ein rechtlicher Rahmen ist erforderlich. Nichtsdestotrotz gibt es viele Anwendungsfälle bei Banken, im Kundenservice über Chatbots, oder im Risikomanagement, wo Algorithmen eingesetzt werden können, um Risiken im Banking zu minimieren oder Betrugsfälle früher zu erkennen. Die Technologie kann auch genutzt werden, um das Kundenverhalten zu analysieren und personalisierte Angebote zu erstellen.
Außerdem kann KI bei der Kreditvergabe sinnvoll eingesetzt werden, zum Beispiel um Kreditanträge zu automatisieren oder den Genehmigungsprozess zu beschleunigen. Sie kann auch Portfoliostrukturen generieren und Anlageportfolios im Wealth- oder Asset-Management optimieren. Wir glauben, dass dies etwas ist, woran alle Banken arbeiten.
Objectway bietet bereits KI-basierte Lösungen für einzelne Dienstleistungen an. Aber die Geschwindigkeit, mit der die Banken bereit sind, den technologischen Wandel zu vollziehen, ist auch eine Frage der Kapazität. Es geht um den Wettbewerb um Talente und darum, die richtigen Fähigkeiten und Mitarbeiter für die richtigen Projekte und Stellen einzusetzen. Das Verständnis und die Nutzung der neuen Technologien ist eine Herausforderung an und für sich.
Manage it: Welche Herausforderungen und Lösungen gibt es in Bezug auf die Sicherheit und den Schutz von Kundendaten in einer digitalen Bankenwelt? Welche Risiken sind mit der Digitalisierung des Bankwesens verbunden, insbesondere in Bezug auf Cyberangriffe und Datenschutzverletzungen?
Karl im Brahm: Die erste Voraussetzung für den sicheren Umgang mit Kundendaten im digitalen Zeitalter ist die Integration eines Cybersicherheitsmodells. In dieser zunehmend von Unsicherheit geprägten Landschaft unterliegen Banken stark regulierten Geschäftstätigkeiten, an die sie sich anpassen und ausrichten müssen. Dies erfordert viel Zeit, Investitionen und Mühe und ist mitunter nur schwer zu bewältigen. Daher muss ein integriertes Cybersicherheitsmodell eingeführt werden, das alle Komponenten zentralisiert und miteinander kommunizieren lässt.
Auf diese Weise kann eine ganzheitliche Perspektive auf Governance und den Schutz von Informationen gewährleistet werden. Zudem ist Datenschutz ein zentraler Aspekt der Digitalisierung der Branche. Unabhängig davon, ob eine Bank mit dem Aufbau eines Datenschutzsystems aufgrund einer Anforderung oder Vorschrift oder aus eigener Initiative begonnen hat, ist die Sicherheit von Kundendaten heute in allen Sektoren ein wichtiges Anliegen, so auch im Bankwesen.
Banken müssen eine solide Datenschutzkultur schaffen, die klare Richtlinien und die Einhaltung aller rechtlichen Anforderungen umfasst. Dabei erhöht die Integration von künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen (ML) die Anforderungen an diesen Schutz. Finanzinstitute sind angewiesen, sich von alten Strukturen zu verabschieden und sich an moderne Technologien anzupassen, um ihre Cyberresilienz zu erhöhen.
KI und ML können bei der proaktiven Analyse, Speicherung und Bewertung einer riesigen Menge von Sicherheitsdaten in Echtzeit helfen. Die Haltung, Sicherheit als Kostenfaktor zu betrachten, muss einer Sichtweise weichen, bei der sie als Nutzen gesehen wird, um Informationen zu schützen und mögliche negative geschäftliche Auswirkungen zu vermeiden. Das Risiko von Sicherheitsbedrohungen und ihre Folgen müssen gründlich analysiert werden, um die Bedeutung der Cybersicherheit zu verstehen.
Ein wirksames Risikomanagement hilft Banken, potenzielle Gefahren, die zu erheblichen Verlusten führen können, vorherzusehen, zu bewerten und zu bewältigen. Durch das effektive Management von Risiken können Banken unerwartete Störungen und finanzielle Verluste reduzieren und die Widerstandsfähigkeit ihres Unternehmens langfristig aufrechterhalten. Nur durch Sensibilisierung und verstärkte Kontrollen können Cyberkriminalität und Datenverluste wirksam reduziert werden. Dazu muss zudem sichergestellt werden, dass jeder Einzelne seine Rolle und Verantwortung hierfür versteht.
Es ist unerlässlich, eine robuste Cybersicherheitsstruktur aufzubauen, die die Sicherheit der Kundendaten und der kritischen Transaktionen der Finanzinstitute nicht gefährdet. Das Gleiche gilt für eine andere aus unserer Sicht wichtige Entwicklung: Open Banking, das heißt die Möglichkeit, betriebliche Ökosysteme über Schnittstellen (APIs) mit den bestehenden Kernplattformen der Banken zu verbinden. Auch hier ist die Umsetzung im Finanzwesen bereits weit fortgeschritten. Nun, da die Vorteile eines umfassenden Risikomanagements erkannt wurden, besteht die Herausforderung darin, die Effizienz und Sicherheit von Daten und Transaktionen zu verbessern und die Kosten zu senken. Die Banken sind noch zurückhaltend, aber alle unsere Kunden befassen sich mit den neuen Technologien und den Verfahren.
Es herrscht eine große Bereitschaft, sich am Wandel zu beteiligen. Viele Banken haben hierzu bereits spezielle Projekte und Abteilungen eingerichtet. Aber wir müssen noch sehen, in welchen Bereichen der Einsatz sinnvoll ist und in welchen nicht.
Manage it: Wie beeinflusst die Digitalisierung die regulatorischen Anforderungen im Bankenwesen, und wie können Banken sicherstellen, dass sie den Vorschriften entsprechen?
Karl im Brahm: Auf dem stark regulierten Finanzdienstleistungsmarkt ist die Einhaltung der sich ständig wandelnden Vorschriften unerlässlich. Insbesondere wenn es darum geht, Partnerschaften mit externen Anbietern einzugehen und IT-Prozesse, -Infrastrukturen oder -Dienstleistungen zu digitalisieren, zeigen sich die deutschen Banken in der Hinsicht noch zurückhaltend. Zum einen sind die regulatorischen Anforderungen – und damit die Kosten – hoch, zum anderen stellen die veralteten Infrastrukturen vieler Finanzinstitute eine Herausforderung dar. Nehmen wir zum Beispiel die Cloud.
Für viele Banken steht die öffentliche Cloud nicht im Vordergrund, wenn sie über ihr Kernbankensystem nachdenken. »Sind meine Daten wirklich geschützt? Sind meine Daten in Drittländern verfügbar?« Dies können Fragen sein, die im Zusammenhang mit dem Outsourcing beantwortet werden müssen. Dennoch haben wir in den letzten Jahren einen massiven Anstieg der Bereitschaft zu Wandel erlebt. Bei Cloud-Diensten geht es nicht nur um Kostenoptimierung, sondern auch darum, Software schneller und besser entwickeln und einsetzen zu können.
Manage it: Welche Vorteile bieten Partnerschaften zwischen etablierten Banken und Fintech-Unternehmen, und wie können sie die Innovation im Bankenwesen fördern?
Karl im Brahm: Fintechs können eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, den Finanzinstituten zum Erfolg zu verhelfen. Diese haben erkannt, dass sie in einem so anspruchsvollen Umfeld nicht isoliert bestehen können. Wenn es darum geht, innovative Produkte zu entwickeln oder schnell auf den Markt zu bringen, gehen viele traditionelle Banken verstärkt Partnerschaften mit Fintechs ein, anstatt selbst ein Produkt oder eine Funktion zu entwickeln.
Letztere können in der Regel dazu beitragen, die Betriebskosten der Banken zu senken und Technologien einfacher einzusetzen, indem sie Standardlösungen anbieten, die von Spezialisten entwickelt werden und oft die neueste Technologie nutzen, um eine bestimmte Herausforderung oder einen bestimmten Bedarf zu erfüllen. Der Aufbau eines umfassenden Ökosystems von Partnerschaften kann den Mitarbeitern und Kunden der Banken in einer Vielzahl von Bereichen einen Mehrwert bieten. Partnerschaften erfordern jedoch ständige Arbeit und Aufmerksamkeit. Sie werden zwar oft als technologische Herausforderung wahrgenommen, aber unsere Erfahrung zeigt, dass es dabei auch um Menschen, Denkweisen und die Abstimmung von Zielen geht. Bei erfolgreichen Partnerschaften geht es um Engagement und Verständnis für die Bedürfnisse des anderen. Zentral sind dabei Vertrauen und Transparenz, sowie die Definition eines gemeinsamen Ziels, auf das mit vereinten Kräften hingearbeitet wird.
Digitales Banking ist somit keine Frage der Zukunft mehr, sondern entwickelt sich rasant zur »one and only« Art des Bankings, bei der Technologie für intelligente Abläufe und ein hervorragendes Erlebnis für alle Beteiligten eingesetzt wird: Kunden, Mitarbeiter, Anleger und Partner im Ökosystem.